Der Bien und seine Zucht - Infoseite zur Hochwaben-Magazinbeute

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Bücher
Richard Graf

Der Bien
und seine Zucht
nach Ferdinand Gerstung

Vorwort zur neuen, überarbeiteten und kommentierten Auflage

Dr. h.c. Ferdinand Gerstungs Leben und Wirken war von Jugend an geprägt von der Liebe zur Natur und den genauen Betrachtungen der Lebensvorgänge bei Tieren. So führten seine Beobachtungen eines Wespennestes und dessen Brutgeschehens dazu, dass er bereits nach vier Jahren Bienenhaltung das Grundgesetz der Brut- und Volksentwicklung im Bienenvolk erkannte. Außerdem wurde ihm mit seiner besonderen Gabe, den Naturphänomenen zu begegnen, offenbar, dass zum Bienenvolk nicht nur die drei Bienenwesen gehören, sondern auch alle anderen Bestandteile, Brut, Honig, Pollen, Wabenbau, Propolis und die Behausung. Fortan bezeichnet er das Bienenwesen als "der  Bien". Mit seiner Faszination und Hingabe für naturwissenschaftliche Zusammenhänge leitete er von 1892 über 32 Jahre die Fachzeitschrift »Die Deutsche Bienenzucht in Theorie und Praxis«. Von 1902 bis 1926 erschienen sieben Auflagen des Lehrbuches »Der Bien und seine Zucht«. Während der ganzen Zeit war Ferdinand  Gerstung Pfarrer in Oßmannstedt bei Weimar. Auch wenn er kein examinierter Naturwissenschaftler und auch an keiner bienenwissenschaftlichen Einrichtung tätig war, ist er durch sein unermüdliches Schaffen zu einem Wegbereiter der Bienenforschung geworden. Dafür wurde ihm zuletzt von der Universität Jena die Ehrendoktorwürde verliehen.   

Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und der Teilung Deutschlands waren die Gerstungbeuten im In- und Ausland stark verbreitet. Nach und nach verdrängten die Magazinbeuten im Deutsch-Normal- und Zandermaß immer mehr die Gerstungbeute und damit die Betriebsweise des ungeteilten Brutraumes. Seine Schriften waren alle noch in altdeutscher Schrift verfasst. Dies war vermutlich einer der Gründe, weshalb der große Bekanntheitsgrad Ferdinand Gerstungs und seiner Literatur immer mehr verblasste. Außer dem Begriff „Bien“ ist inzwischen wenig von den grundlegenden Erkenntnissen über das Zusammenleben des „Bien“ und der daraus folgenden Betriebsweise für Imker*innen über ihn bekannt geblieben. Ich hatte das Glück, dass mein Bienenvater Gregor Barth mir immer wieder von Ferdinand Gerstung erzählte.

Mit Bruder Adam wurde ab den 1960er Jahren der ungeteilte Brutraum wieder neu belebt - jedoch auf der Basis der Breitwabe Dadant. Durch diesen Impuls wurde  der so genannte "angepasste Brutraum" lebendig, der in dieser Form aber für eine am Profit ausgerichtete Honigproduktion missbraucht wird. Während für Gerstung  Honig-/Pollenkranz und Brutnest eine untrennbare Einheit darstellen, sind bei dieser "modernen" Betriebsweise Pollen und Honig so genannte "Störfaktoren" und werden aus dem Brutnest hinter Schied und Absperrgitter verbannt - ein verhängnisvoller Eingriff in die Lebenszusammenhänge des Bien!

Mit den drastischen Veränderungen in den vergangenen 50 Jahren in der Landschaft und der Kultur der Menschen wurden die Lebensräume unserer Pflanzen- und Tierwelt durch unser menschliches Tun immer mehr ausgedünnt. Auch die Honigbiene ist davon betroffen, obwohl es heute noch den Anschein hat, als könnte sie der Mensch durch seine Haltungsformen und Zuchttechniken davor bewahren. Doch der  Schein trügt!

In meiner über 60-jährigen Imkertätigkeit habe ich die ganzen Veränderungen in der Bienenhaltung miterlebt und mit meinen Bienen \glqq durchgetragen\grqq. Dabei ist bis heute die Varrose die größte Herausforderung, vor der alle Imker*innen stehen. Ich habe dabei beobachten können, wie die Bienen durch die Maßgabe der chemischen Behandlung ihre Widerstandskraft immer mehr verloren haben. Bei der Suche nach Alternativen habe ich mich schließlich an die Leitsätze meines alten Imkervorbilds Ferdinand Gerstung erinnert und  ab 1998  nach und nach meine gesamte Imkerei mit dem Dadantmaß auf die heutige Hochwaben-Magazinbeute umgestellt,  genau so, wie es Ferdinand Gerstung in seinem Buch »Der Bien und seine Zucht« niedergeschrieben hatte. Damit wurde er für mich zum Wegbereiter einer wieder neu entdeckten Form der Bienenhaltung. Die Bienen leben in einem ungeteilten Brutraum auf Hochwaben, überwintern auf Honig und überleben jetzt größtenteils behandlungsfrei.

Meinem Imkervorbild Ferdinand Gerstung habe ich diese Art von Bienenhaltung zu verdanken. Ich habe es mir aus diesem Grund zur Aufgabe gemacht, sein Lebenswerk wieder in Erinnerung zu rufen, damit dieses alte Standardwerk der Imkerliteratur erneut zur Bedeutung gelangen kann. Dazu habe ich in jahrelanger Kleinarbeit das Lehrbuch »Der Bien und seine Zucht« in eine gängige Schriftart übertragen und in diesem Zuge die Grammatik und  den Schriftstil an die heutige Umgangssprache angepasst, ohne die inhaltliche Aussage zu verändern.  Darüber, dass mir dies nicht immer so gelungen ist, wie ich es mir gerne gewünscht habe, möge der Leser doch bitte hinwegsehen. Weiterhin haben mir meine Bienenvölker den Dienst erwiesen, dass ich  Farbaufnahmen vom Aufbau des Brutnestes machen konnte, die eindrücklich die Brutnestentwicklung und den Legegang der Königin dokumentieren  (vgl. Kapitel 12, S. 142 ff.). Damit ist es möglich, die Aussagen von  Ferdinand Gerstung  optisch gut nachzuvollziehen. Meine Kommentare zu wichtigen Textpassagen sind stets kursiv als Anmerkung gedruckt. Die wichtigsten Passagen sind hervorgehoben. Bienenhäuser und Pavillions zur Unterbringung von Bienenvölkern gehören heute der Vergangenheit an und dienen höchstens noch dazu, Imkerei-Gerätschaften darin unterzubringen. Das Kapitel 23, das sich damit beschäftigt hatte, habe ich nicht mehr übernommen.  

Mit meiner Neufassung möchte ich meine Wertschätzung für der unermüdliche Verhaltensforschung und die Aufklärungsarbeit von Ferdinand Gerstung zum Ausdruck bringen. Seine  grundlegenden Erkenntnisse und die "Futtersaftlehre" sind heute aktueller als je zuvor, da sich die Nahrungsgrundlagen des Bien durch sinkende Artenvielfalt der Pflanzen und die damit verbundene einseitige Ernährung  erheblich verändert haben. Dass der Einsatz von Industriezucker als Ersatz-Winterfutter sich als Fehlentwicklung erweist, war bereits  damals seine Überzeugung. Die stetig steigende Anzahl pathogener Keime in den letzten Jahren, insbesondere der Viren,  sind für mich ein Beweis dafür, dass das Immunsystem unserer Bienen immer mehr geschwächt ist.

Erfreulicherweise widmen sich diesen Themen in der letzten Zeit immer mehr Imkerinnen und Imker.

Laichingen, im Februar 2025
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letzte Änderung:
14. Mai 2025
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